Abenteuer vor der Haustür
Coach, Referent, Veranstalter
„Was genau hat dir der Extremsport im Leben gebracht? “ – Mehr, als ich erwarten konnte! Nicht nur habe ich Einblicke in mein tiefstes Inneres gewonnen, meine Fähigkeiten erkannt, meine körperlichen unipsychischen Grenzen ausgelotet und so meine Persönlichkeit entwickelt. Der Extremsport hat auch meine Lebensqualität enorm gesteigert, durch ihn haben sich tiefe Freundschaften mit inspirierenden Persönlichkeiten ergeben. imd gleichzeitig hat er mir viele Möglichkeiten eröffnet, die ich mir so nie erträumt hätte.
Seit Anfang der 1990er Jahre bin ich jetzt Veranstalter des Triple-Ultra-Triathlons in Lensahn. Das sich aus unserem 1992 semiprofessionell ins Leben gerufenen Selbstversuch die traditionsreichste Ultra-Triathlon-Veranstaltung in Europa entwickelte, ist ein toller Erfolg.
Quelle: Buch „Das Unvorstellbare wagen„, Seite 198 (Auszüge bearbeit)
Leben in der Runde
Kapitel 1
Wasser war die erste große Liebe meines Lebens. Bereits mit acht Jahren schloss ich mich der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) an, in der Hoffnung, dort meine Leidenschaft intensiv ausleben zu können. Schließlich hatten die dort sogar schon eine Tauchflasche, was damals etwas ganz besonderes war. Und ich wurde nicht enttäuscht: Ich lernte richtig zu schwimmen, zu schnorcheln und zu tauchen, aber auch – und das war unser Hauptjob – lebensrettende Maßnahmen bei Badeunfallopfern anzuwenden. Ebenso spannend wie meine Fortschritte im Wasser, war jedes Jahr aufs Neue die Sommersaison in Großenbrode. Der DLRG hatte seine Wachstation direkt am Südstrand, von wo wir einen Blick über den kompletten Badebereich hatten. Vor allem bei Sommerwetter gab es dort viel zu gucken. Insbesondere welche Neuzugänge an den Wechseltagen des Campingplatzes in Richtung Strand strömten. Die weiblichen Urlaubsgäste unseres Alters gerieten hierbei besonders in unseren Fokus. „Boah, schau mal, die sieht ja super aus!“, stieß mein Kumpel Bernd hervor, als er eine brünette Schönheit entdeckte. „Ich find‘ die Blonde daneben besonders süß“, erwiderte ich. Ein Blick genügte und los gings auf Streifzug… Und so dauerte es nie besonders lange, bis die hübschesten Mädels bei uns in der Station saßen. Schwimmen, Tauchen, Boot fahren und vor allem jede Menge Spaß mit den Mädchen – so verbrachten wir damals die Sommer in Großenbrode.
Kurz danach kam die Marine in unseren Ort. Genauer gesagt, wurde das Amphibische Transport- und Umschlagbataillon 4 zum Stützpunkt nach Großenbrode verlegt. Ich war damals 13 Jahre und überaus fasziniert von den Soldaten. Insbesondere die Kampfschwimmer, die in Eckernförde stationiert waren, fand ich wahnsinnig spannend. Trotz meines jungen Alters bemerkte ich gleich, dass dies ein anderer, ein ganz besonderer Menschenschlag war. Die sahen super aus – groß und muskelbepackt mit ihren V-förmigen Oberkörpern – waren locker drauf, aber auch höchst diszipliniert, in allem, was sie taten. Das fand ich klasse. So wollte ich auch sein. Was besonders aufregend war: Bei der Marine in Großenbrode wurde von ehemaligen Kampfschwimmern und Minentauchern ein privater Tauchclub gegründet. In diesen musste ich natürlich sofort eintreten.
Was heute undenkbar wäre, wurde für uns damals Alltag: Ich ging mit meinen Freunden Hans und Bernd in der Kaserne nach Belieben ein und aus. Die Soldaten zeigten uns, wie man richtig taucht, welche Ausrüstung dazu benötigt wird und wie man diese anwendet. Wir waren in jeder freien Minute Teil des Kasernenlebens. Die Soldaten hatten ihren Spaß mit uns. Doch dann und wann wurde es ihnen auch etwas lästig, sich ständig um uns zu kümmern. Wollten sie einfach mal ihre Ruhe haben, ungestört ein Bier trinken oder Männergespräche führen, gaben sie uns kurzerhand sportliche Aufgaben, die wir voller Eifer absolvierten. „Schwimmt doch mal längs der Küste bis zum Ende des Südstrandes und lauft am Strand wieder hierher zurück.“ „Ja, machen wir!“ Kaum ausgesprochen machten wir uns voller Tatendrang auf den Weg und die Soldaten hatten für drei Stunden ihre Ruhe vor uns.
Viele der Soldaten tauchten auch in ihrer Freizeit. Einer war sogar schon mal im Mittelmeer unterwegs. Er schwärmte vom blauen Wasser, der klaren, weiten Sicht unter Wasser und von zahllosen bunten Fischen, die die Taucher neugierig umringten. Davon konnten wir beim Tauchen in der Ostsee nur träumen. Die Sicht war begrenzt und bunte Fische leider Fehlanzeige. Ich hing an seinen Lippen und sog die prächtigen Beschreibungen wie ein Schwamm in mir auf. „Wie tief kann man dort tauchen?“, fragte ich ihn. „Welche Fische hast du gesehen? Gibt es dort auch Schiffswracks?“ Ich konnte gar nicht genug davon kriegen und mir war sofort klar: Da musst ich auch mal hin! Das will ich auch erleben! Es sollte zwar noch etwas dauern, aber Jahre später tauchte auch ich ein in die farbenfrohe und äußerst beeindruckende Unterwasserwelt von Norwegen, Italien, Spanien, Ägypten, Kenia, Mexico, Sri Lanka und den Malediven.
Quelle: aus dem Buch „Das Unvorstellbare wagen“ von Wolfgang Kulow, Seite 17 und 18
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Mit dem Abschluss der Schule sollte der Ernst des Lebens beginnen. „Du kannst Maurer, Zimmermann oder Autoschlosser werden“, riet mir mein Vater, als es um die Berufswahl ging. Das waren die Berufe, die zu jener Zeit gemeinhin anerkannt waren. „Irgendwo auf dem Büro zu sitzen und Akten hin und her schieben, ist kein „richtiger“ Beruf!“ Mein Vater verzog das Gesicht und machte eine abfällige Handbewegung. „Zudem bringt er nur wenig Geld.“ Ich war ein mittelmäßiger Schüler. Nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. Ganz so, wie Jungs eben mal sind. Ich hab nie wirklich für Klassenarbeiten gelernt und abgesehen vom Schulsport wenig Initiative gezeigt. Die Schule war in meinen Augen eher ein notwendiges Übel, das man eben bewältigen musste. Dennoch hatte sie auch etwas Positives. Im Schulflur stieß ich unerwartet auf meinen späteren Traumberuf. Das Mosaikbild an der Wand, an dem ich mehrmals täglich entlang ging, fesselte immer wieder meinen Blick. Bis ich irgendwann völlig fasziniert davor stehen blieb. Ein Kunstwerk aus tausend kleinen Steinchen, perfekt aufeinander abgestimmt und optimal in Szene gesetzt. Etwas nachhaltig Künstlerisches gestalten. So etwas wollte ich auch mal machen. Das war genau mein Ding. Doch wie nannte sich der Beruf und wie fand man eine solche Lehre? Heute wäre dies einfach zu bewältigen. Man setzt sich an den Rechner und „googelt“ nach entsprechenden Begriffen. Damals hatten wir das noch nicht. Da hieß es auf dem Postamt die Telefonbücher zu wälzen. Oder auf eine glückliche Fügung hoffen. Und ich hatte Glück: Durch Zufall erfuhren meine Eltern von einem Fliesenleger aus Kiel, der in Oldenburg eine Filiale eröffnete und selbst Lehrlinge ausbildete. Mein Vater schnappte mich und wir fuhren kurzerhand dahin, damit ich mich im Betrieb vorzustellen. Das hinterließ wohl Eindruck, denn wenige Zeit später erhielt ich die Zusage und begann mit gerade mal 14 Jahren meine Ausbildung als Fliesenleger.
Anfangs ahnte noch keiner welcher Hype um das Thema Fliesen in den kommenden Jahren ausbrechen sollte. Früher waren Küchen und Bäder mit Rohrleitungen über Putz ausgestattet und einfach mit Ölfarbe gestrichen. Zu Beginn meiner Ausbildungszeit trat jedoch ein Gesetz in Kraft das besagte, dass öffentliche Küchen vollständig gefliest sein müssen. Auch Campingplätze erhielten nur eine Genehmigung, wenn die Bäder mit Fliesen versehen waren. Selbst Einfamilienhäuser, die wie Pilze aus dem Boden schossen, wurden nur noch mit gefliesten Bädern ausgestattet. Lediglich fünf Fliesenleger gab es im gesamten Einzugsgebiet. Die Nachfrage, die plötzlich auf uns niederging, konnten wir gar unmöglich alleine stemmen. Zudem bekam ich unzählige Anfragen aus meinem privaten Umfeld, um auch nach der offiziellen Arbeitszeit Fliesen zu verlegen. Regelmäßig erreichten mich auch verzweifelte Anrufe, wie der vom nahe gelegenen Campingplatz: „Wir haben vom Gesundheitsamt die Auflage erhalten, umgehend die Duschen zu fließen“, höre ich eine panische Stimme. „Bis wann soll das denn erledigt werden?“, erkundige ich mich sachlich, wohlwissend, dass dazu in den nächsten Wochen keine Zeit sein würde. Kurze Stille in der Leitung. „Geht das auch bis übermorgen…?“, kam es daraufhin zögerlich und mit flehender Stimme. „Nein“ zu sagen fiel mir von jeher schwer. Wenn ich gebraucht wurde, war ich da. Ich hatte unbändigen Spaß an einer Sache hat, und dementsprechend mit voller Leidenschaft dabei. Also habe ich rund um die Uhr gearbeitet. Teilweise saß ich nachts um zwei Uhr noch alleine in fremden Bädern und setzte Fliesen – und das als Jugendlicher.
Das ging Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr so. Irgendwann ließ meine Leidenschaft nach, denn ich war völlig überarbeitet. Ich war ständig im Stress und ständig übermüdet. Natürlich verdiente ich dabei gutes Geld. Während meiner Lehrzeit bekam ich das Dreifache des Lohnes meiner Freunde. Unmittelbar danach verdiente ich bereits 3.000 D-Mark. Ich hatte eine teure Uhr, die beste Kleidung und schon mit 18 Jahren einen schicken neuen VW Karmann Ghia. Im Prinzip konnte ich mir all‘ meine materiellen Wünsche realisieren. Ich hatte alles, was man sich für Geld kaufen konnte. Dennoch, eines hatte ich nicht: Ich hatte keine Freizeit. Meine Freunde gingen nach dem Job mit den Mädels zum Strand oder feierten am Abend ausgelassene Partys. „Wo ist Wolfgang?“, wunderten sie sich hin und wieder. Doch ich war stets am Fliesenlegen. Der Spaßfaktor in meinem Leben war gleich null. Während andere das Leben genossen, war ich am Arbeiten. Auch für meinen Sport hatte ich keine Zeit mehr. Das Tauchen blieb völlig auf der Strecke und entwickelte sich schließlich zu einem zusätzlichen Stressfaktor.
Vor meinem geistigen Auge sah ich Vater und meine Onkel höhnisch auf mich herab schauen. Ich war 18 und befand mich zu meinem Entsetzen innerhalb nur weniger Jahre in einem Leben, das ich vor gar nicht allzu langer Zeit noch verächtlich belächelt hatte. Einem Leben, von dem ich mir geschworen hatte, niemals zu landen: Dem Leben in der Runde. Und jetzt war ich genau dort: Arbeiten, auf der Couch liegen, Essen, Schlafen. Was war aus meinen Plänen geworden, ein aktives Leben voller Abenteuer zu führen? Wo waren meine Träume geblieben? Noch hatte ich nicht allzu viel Lebenserfahrung sammeln können, aber instinktiv begriff ich: „Wolfgang, du musst rasch etwas ändern, um nicht frühzeitig vor die Hunde zu gehen.“ Die Frage war nur, wie sollte ich das tun?